
Nachrüstung der Zukunft: Dank kohlenstoffarmen Dämmplatten hat TVH nun ein kühleres und nachhaltigeres Dach
Pieter, was war der Auslöser für dieses Projekt?
Pieter Loosveldt (TVH): Die Nachrüstung war Teil unserer umfassenderen Strategie für Instandhaltung und Nachhaltigkeit unserer Anlagen. Dabei standen für uns drei klare Ziele im Vordergrund: Verbesserung der Wärmedämmung, Erneuerung des Daches im Rahmen der langfristigen Instandhaltung des Gebäudes und Einsatz nachhaltiger Materialien. Das Dach befindet sich auf einem Logistikgebäude, in dem Menschen arbeiten. Daher war es unerlässlich, es im Sommer kühl und im Winter warm zu halten – und das bei minimalem Energieverbrauch.
Fernando, welche Rolle spielte Covestro dabei?
Fernando Resende (Covestro): Wir arbeiten seit Jahren eng mit Recticel zusammen und liefern die Rohstoffe für die Dämmstoffe des Unternehmens. Bei diesem Projekt spielte unser klimaneutrales1 Desmodur® CQ MS eine zentrale Rolle. Dabei handelt es sich um ein MDI – Methylendiphenyldiisocyanat – auf Basis biozirkulärer Rohstoffe, das nach einem zertifizierten Massenbilanzansatz attribuiert wird. Dieser nachhaltigere Fertigungsprozess reduziert das embodied carbon beim Bau erheblich. Tatsächlich kann Recticel so TVH-Dämmplatten anbieten, die das embodied carbon um 43 %² senken – und das ohne Kompromisse bei der Wärmedämmleistung.
Pieter, warum haben Sie sich für diese speziellen Dämmplatten entschieden?
Pieter: Sie entsprachen unseren Anforderungen perfekt. Wir konnten keine Steinwolle verwenden, da diese für die Konstruktion zu schwer gewesen wäre – insbesondere mit den Solarzellen auf dem Dach. Die kohlenstoffarme Dämmlösung von Recticel bot die richtige Balance zwischen Leistung, Nachhaltigkeit und Gewicht. Der reduzierte CO₂-Fußabdruck war ein entscheidender Faktor für unsere Entscheidung.
Fernando, könnten Sie erläutern, warum Desmodur® CQ MS ein Gamechanger ist?
Fernando: Selbstverständlich. Desmodur® CQ MS ist ein klimaneutrales1 MDI, das es Herstellern wie Recticel ermöglicht, PU-Dämmplatten (Polyurethan) mit einer deutlich geringeren Umwelt- und CO₂-Belastung herzustellen – dank 25 % biozirkulär attribuiertem Anteil. Darüber hinaus handelt es sich um eine Drop-in-Lösung, was bedeutet, dass keine Änderungen an bestehenden Produktionsprozessen erforderlich sind. Dies ermöglicht es Unternehmen, problemlos und ohne Kompromisse bei Dauer oder Effizienz auf nachhaltigere Baumaterialien umzustellen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Massenbilanzansatz, der diesem Produkt zugrunde liegt. Dank dieser Methode können wir biobasierte Rohstoffe in die konventionelle Fertigung integrieren und dem Endprodukt einen Anteil an erneuerbaren Ressourcen verleihen, ohne dessen technische Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Sie ist ISCC-PLUS-zertifiziert, was sowohl Transparenz als auch Glaubwürdigkeit gewährleistet und gleichzeitig einen deutlich geringeren CO₂-Fußabdruck im Vergleich zu fossilen Alternativen ermöglicht.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Projekt?
Pieter: Es gab eigentlich nur eine zentrale Herausforderung: Die Solarmodule auf dem Dach durften nur für einen kurzen Zeitraum vom Netz genommen werden. Das erforderte einen äußerst straffen Zeitplan – aber wir haben ihn eingehalten. Das Bauteam hat hervorragende Arbeit geleistet.
Fernando, inwiefern stehen Projekte wie dieses im Einklang mit den übergeordneten Zielen im Bausektor?
Fernando: Perfekt. Unser Ziel ist es, das embodied carbon in unseren Bauwerken und Materialien zu reduzieren, indem wir von fossilen Rohstoffen auf alternative Rohstoffe umsteigen. Die Bauindustrie steht dabei im Mittelpunkt, und dieses Projekt zeigt, wie wir nachhaltigere Baumaterialien in größerem Umfang einsetzen können, ohne dabei Abstriche bei der Leistung zu machen.
Um eine breitere Akzeptanz zu beschleunigen, ist die Branche jedoch auf eine stärkere politische Unterstützung und Zertifizierungssysteme angewiesen, die nachhaltigere Baupraktiken belohnen. Es fehlt nach wie vor ein solides regulatorisches Rahmenwerk, das den Einsatz von kohlenstoffarmen Dämmstoffen und umweltfreundlichen Baumaterialien aktiv fördert. Dies stellt eine erhebliche Herausforderung dar – insbesondere wenn man bedenkt, dass die in den Materialien eingebetteten CO₂-Emissionen fast 25 % der Emissionen im globalen Bausektor ausmachen.
Lassen Sie uns über langfristige Perspektiven sprechen. Pieter, handelt es sich hierbei um einen Einzelfall oder ist dies Teil eines größeren Wandels?
Pieter: Diese Initiative ist ein Eckpfeiler unserer langfristigen Strategie. Wir verfolgen einen strukturellen Ansatz für die Instandhaltung unseres Immobilienportfolios und stellen so sicher, dass unsere Gebäude durch nachhaltigere Baumaterialien und Nachrüstungslösungen zukunftssicher sind.
Was würden Sie anderen Unternehmen empfehlen, die nachhaltige Baumaterialien in Erwägung ziehen?
Fernando: Klein beginnen – man kann eine nachhaltigere Lösung zunächst in einem Projekt testen. Dadurch werden die Vorteile sichtbar, nicht nur in Bezug auf die Umwelt, sondern auch hinsichtlich der langfristigen Leistung und Kosten. Die kohlenstoffarmen Dämm- und Baumaterialien von heute sind zuverlässig, langlebig und direkt verfügbar. Ein Zögern könnte bedeuten, dass Chancen verpasst werden und man später mit strengeren regulatorischen und marktwirtschaftlichen Anforderungen konfrontiert ist.
Um den Übergang zu nachhaltigeren Baumaterialien zu unterstützen, haben wir den BetterBuildings Hub ins Leben gerufen – eine Plattform, auf der Fachleute Beispiele aus der Praxis und bewährte nachhaltigere Lösungen finden. Darüber hinaus beteiligen wir uns aktiv an Branchenveranstaltungen und pflegen enge Beziehungen zu Universitäten, Verbänden und Bauexperten, um das Bewusstsein für innovative, kohlenstoffarme und recycelte Materialien zu steigern.
Pieter: Wenn mehr Unternehmen unser Tempo bei der Gebäudesanierung übernehmen würden, würden wir unser übergeordnetes Ziel viel schneller erreichen. Es besteht definitiv noch Nachholbedarf für andere, unserem Beispiel zu folgen.
Beobachten Sie eine zunehmende Verlagerung der Branche hin zur Nachrüstung?
Fernando: Ja, das Interesse an nachhaltiger Nachrüstung wächst, insbesondere aufgrund strengerer Vorschriften und Energieeffizienzziele. Allerdings wird Neubauten häufig noch Vorrang eingeräumt, da sie als einfacher zu planen und auszuführen gelten. Es findet ein Umdenken statt, jedoch nur langsam. Dennoch sind Lösungen für die Nachrüstung von Gebäuden unerlässlich, wenn Europa seine Nachhaltigkeitsziele erreichen will – es gibt einfach einen viel zu großen Bestand an Gebäuden, die nach wie vor erheblich zu den CO₂-Emissionen beitragen.
Abschließend: Was sind die nächsten Schritte bei den Innovationen für Dämmstoffe?
Fernando: In den nächsten fünf bis zehn Jahren erwarten wir eine erhebliche Steigerung des Einsatzes nachhaltiger Rohstoffe, des mechanischen und chemischen Recyclings sowie verbesserte Ansätze für die Kreislaufwirtschaft. Wir werden Polyurethan (PU)-Dämmstoffe mit ihrer charakteristischen Wärmedämmleistung sehen, jedoch mit weitaus besseren Umwelteigenschaften und einem reduzierten CO₂-Fußabdruck. Dies ist der Weg, den wir bei Covestro entschlossen gehen möchten.
1Klimaneutralität ist das Ergebnis einer internen Bewertung eines teilweisen Produktlebenszyklus von der Ressourcengewinnung (Cradle) bis zum Werkstor (von Covestro), auch bekannt als Cradle-to-Gate-Bewertung. Unser Ansatz zur Ökobilanzberechnung mit externer Prüfung und Zertifizierung basiert auf den Normen ISO 14040 und 14044. Die Berechnung berücksichtigt die biogene Kohlenstoffbindung auf der Grundlage vorläufiger Daten aus der Lieferkette. Es wurden keine Kompensationsmaßnahmen angewandt.
2Interne Ökobilanzberechnung gemäß Norm EN15804+A2 für die Module A1 bis A3 (Cradle to Gate), basierend auf dem Massenbilanzansatz.